brand eins 11/2011

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Titel: Fürchtet euch nicht

Schwerpunkt: Rechnen

Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Gabriele Fischer in ihrem Editorial:

Rechnet mit uns

• Ich war auf einem mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Gymnasium. Vermutlich, weil es in der Nähe lag, vielleicht gefiel meinen Eltern auch, dass es eine reine Mädchenschule war. Als Kind mit besonderen mathematischen Fähigkeiten jedenfalls war ich zuvor nicht aufgefallen. Doch in einer Umgebung, in der Mathematik wichtig genommen wurde, in der man mangelhafte Französischkenntnisse durch einen eigenständigen, nicht im Lehrbuch stehenden mathematischen Beweis ausgleichen konnte, in dieser Umgebung wurden Zahlen, Logik und der Spaß an der Lösung von Problemen zu einem Teil von mir.

Bis zur Entwirrung des "Heiratssatzes" hat es allerdings nie gereicht, und bei der Poincaré-Annahme verstehe ich noch nicht einmal die Frage. Aber Menschen, die sich wie Grigori Perelman in solche Probleme verbeißen, finde ich weniger wunderlich als bewunderungswürdig (S. 156). Und Lehrer wie Ines Petzschler, die sich abrackern, um aus dem drögen Zahlendrehen eine Welterkundungs-Disziplin zu machen, leisten nach meinem Gefühl einen unterschätzten Beitrag zur Verbesserung der Welt (S. 96).Denn Mathematik ist eben nicht nur der Zeitvertreib skurriler Denker oder ein an Schulen eingesetztes Folterinstrument: Sie war der Anfang der Moderne, das lange angefeindete Werkzeug der Aufklärung. Und heute ist sie das Fundament, auf dem nahezu alles steht, worin wir wohnen, womit wir fahren und was wir erleben (S. 40).

Gerade wir Deutsche, für unsere Ingenieure und Maschinenbauer berühmt, sollten eigentlich ein Volk der Rechner sein – doch das ist lange her. Mit dem Bekenntnis zur Rechenschwäche ernten Politiker, Manager oder Prominente heute eher Sympathie: Ist doch besser als diese kühlen Technokraten. Wer nicht rechnen kann, ist menschlicher. Mit den Folgen schlagen sich nicht nur die Euro-Retter in Brüssel herum. Den Rückzug der Logik beobachtet man überall. Etwa wenn Immobilien in Randlage zu Höchstpreisen an amerikanische Hedgefonds gehen (S. 56), Kirchenfürsten die Scherflein der Gläubigen mehren wollen (S. 132) oder Milliardäre den Volkssport Fußball in ein Millionenspiel mit Millionenverlusten verwandeln. Da ist dann einer, der wie Uli Hoeneß rechnen kann, ein Exot (S. 118).

Aber haben uns die Zahlendreher nicht auch ins Unglück gestürzt? Leute wie der Mathematiker Michael Osinski zum Beispiel, der jene Software entwickelte, mit der sich der finanzielle Giftmüll verpacken ließ (S. 140). Oder all jene Buchhalter, die aus der schlichten Bilanz dessen, was ein Unternehmen tut, undurchschaubare Zahlenwerke machen, in denen sich auch Untätigkeit verbergen lässt (S. 124).

Stimmt schon, die Mathematik ist ein Instrument, mit dem sich Gutes tun, aber auch einiges anrichten lässt. Umso unverständlicher, dass wir nicht verstehen wollen, was zunehmend unser Leben beherrscht. Der Mathematiker Claus Peter Ortlieb kann sich über die kritiklose Zahlengläubigkeit nur wundern, der Volkswirte genauso erliegen wie Soziologen (S. 110). Und wer sich in den Konflikt rund um den Fehmarnbelt-Tunnel vertieft, merkt schnell: Die Rechenwerke sind ein guter Vorwand, aber ganz sicher nicht das Problem (S. 78).Wer dahintersehen und sich nichts vormachen lassen will, dem sei empfohlen, eine mögliche Zahlenphobie zu überwinden. In Südafrika ist das der direkte Weg zur Emanzipation (S. 90). Und überall auf der Welt ein Signal: Rechnet mit uns – wir rechnen mit.

Gabriele Fischer Chefredakteurin

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