brand eins 11/2010

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Titel: An in die Tonne!

Schwerpunkt: Vergessen lernen

Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Chefredakteurin Gabriele Fischer in ihrem Editorial: Im Messie-Land

• Vergessen" ist eines der Wörter, die unmittelbar ein schlechtes Gewissen machen. Termin? Geburtstag? Wichtiges Detail? Was immer wir vergessen haben, erinnert uns an unsere Grenzen. Und an die Schulzeit, in der wir uns so vieles merken sollten, was keinen Menschen interessiert. Ist es da nicht ein Segen, dass wir in einer Zeit leben, in der jeder seine Gedächtnisstütze auf dem Schreibtisch hat oder bei sich trägt? Seit die Speicher immer größer werden, haben wir Zugriff auf alles, was auch nur entfernt wichtig sein oder werden könnte. Und merken dabei, was noch schlimmer ist als Vergesslichkeit: die Möglichkeit, nichts mehr zu vergessen. Schon der Privatcomputer ähnelt schnell dem Haus eines Messies. Was sich in Behörden oder Unternehmen sammelt, seit das Archiv keine Raummiete mehr kostet, bringt Archivare an den Rand der Verzweiflung (S. 84). Und wenn die amerikanische Library of Congress verkündet, alle Tweets seit 2006 aufbewahren zu wollen, wird nicht nur so manchem Spontan-Tweeter schlecht (S. 92). Dabei gibt es gute Gründe, sich nicht übereilt von allem zu trennen, das eine Geschichte hat. Stadtplaner und Autodesigner wissen das (S. 72, 112). Der Münchener Trikont Verlag, der in den Speichern der Welt nach Klangdokumenten stöbert, lebt davon (S. 120). Und auch die Wissenschaftlerin Carmen Reinhart findet, wir vergessen zu schnell. Wie sonst fielen die Spekulanten bei Finanzkrisen auf die immer gleichen Muster herein, seit nunmehr 800 Jahr en (S. 60)? Doch auf der anderen Seite ist, was wir schon wissen, auch Ballast. Das weiß kaum einer besser als jene Pioniere, die einst angetreten waren, diesen Schatz in den Unternehmen zu heben und zu bewahren. Die an Rückschlägen reiche Geschichte des Wissensmanagements führte vor allem zu der Erkenntnis, dass sich nur Informationen speichern lassen, das Wissen aber in den Köpfen steckt (S. 54). Und auch dort stiftet es nicht immer Nutzen: Gerd Walger, Betriebswirtschaftsprofessor in Witten / Herdecke, plädiert für eine regelmäßige intellektuelle Müllabfuhr, die er Vergessensmanagement nennt (S. 104). Wie aber soll das gehen? Wie sollen wir uns lösen von unseren Erfahrungen, dem mühsam Gelernten oder den Datenspuren, die wir ständig produzieren? Der letztere Fall ist der komplizierteste, es sei denn, wir verlassen uns darauf, dass auch Datenträger nicht ewig halten (S. 126). Entlernen aber ist, verglichen damit, nicht so schwer, wenn man es will (S. 36). Und dabei muss man gar nicht so weit gehen wie der Designer Stefan Sagmeister, der die eingefahrenen Bahnen alle sieben Jahre für ein Jahr verlässt, konkret: seine Firma schließt (S. 64). Ihn hat der radikale Bruch immer wieder vorangebracht, ihm neue Welten eröffnet, den Blick geschärft. Und das ist, was auch jeder Computerabsturz ohne Back-up lehrt: Zuerst fühlt man sich verloren, aller Sicherheit beraubt. Dann regt sich Hoffnung: Was wichtig ist, wird wiederkommen, wird nicht endgültig verloren sein. Und irgendwann kehrt das Gefühl zurück, das zu Schulzeiten mit dem Beginn eines neuen Heftes verbunden war: Man kann neu anfangen, alles besser machen, muss nicht mehr auf die Fehler von gestern starren. Das ist ein Glück.

Gabriele Fischer Chefredakteurin

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