brand eins 10/2013 (App)

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Titel: Alle sind normal. Nur du nicht.

Schwerpunkt: Normal

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Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Gabriele Fischer in ihrem Editorial:

Verrückt, oder?

• Der erste Anstoß kam von dem Berater Reinhard K. Sprenger, der zur Heftkritik bei uns war. Es sei schon seltsam, sagte er, dass Unternehmen zwar Millionen Euro für Innovationsprogramme ausgäben, aber gleichzeitig alles dafür täten, Störungen auszublenden und den Normal-betrieb aufrechtzuerhalten. Ob wir schon mal einen Schwerpunkt „Normal“ gemacht hätten?

Das Wort entwickelte eine eigenwillige Faszination. Auf der einen Seite steht es für Langeweile und das, was Medien gerade nicht interessiert, auf der anderen Seite ist es das Maß, ohne das es die Abweichung nicht gibt. Und ökonomisch? Ist „normal“ Fluch und Segen zugleich. Im konjunkturellen Abschwung wünschte man sich ein wenig mehr Normalität – in der Entwicklung eines Kultunternehmens wie Apple ist sie ein Alarmsignal (S. 78, 36). 
Was aber ist überhaupt normal? Auf die Frage hat fast jeder eine Antwort – und jeder eine andere. Die Schüler aus Wolfsburg, die über ihre Wünsche für die Zukunft reden, definieren normal anders als der Werbefotograf oder der Drehbuchautor, der Serien für das Vorabendprogramm schreibt (S. 146, 56). Und auch die Statistik hilft nicht wirklich weiter. Der Durchschnittsbürger ist keine Identifikationsfigur, und der Statistiker Walter Krämer weiß auch, -warum (S. 121, 64).

Was soll’s?, könnte man fragen. Wer muss schon wissen, wer der Normalbürger ist? Die Reiseplaner bei der Tui zum Beispiel, die alljährlich Programme für Menschen zusammen-stellen müssen, die günstig reisen und immer häufiger Individualist bleiben wollen (S. 134). Oder Unternehmer wie Jürgen Dawo, der in den vergangenen 16 Jahren die Hausbau-Franchise-firma Town & Country hochgezogen hat, weil er genau weiß, was eine große Zahl von Menschen glücklich macht (S. 86). 
Richtig interessant aber wird das Normale, wenn es zur Orientierung und zur Identifizierung von Abweichlern dient. Unser Gesundheitssystem zum Beispiel: Immer teurer, immer vorsorgender – und trotzdem gelten immer mehr Menschen als krank (S. 108). Der Finanzmarkt, der Maß und Ziel längst verloren zu haben scheint (S. 128). Oder unsere Führungselite, der in immer neuen Studien bescheinigt wird, völlig abgedreht zu sein (S. 102). Ist das alles noch normal? Und wer hat eigentlich die Deutungshoheit über Normalität (S. 46)? 

Es steckt schon viel von jener Irrationalität im Thema, von der Sprenger sprach. Wir wollen Individualisten sein – bis zu jenem Tag, an dem uns Unfall oder Krankheit zu einem -machen (S. 112). Wir suchen das Besondere – und hätten es doch gern zum Sonderpreis – (S. 116). Und wir suchen immer wieder nach Abwechslung, geben aber Gewohnheiten nicht gern auf (S. 122, 140). 

Wer wir ist? Das ist die Frage. Sind wir die Individualisten – und alle anderen Konformisten? Ist es umgekehrt? Und was sagt das eine, was das andere? 
Gönnen Sie sich den Spaß, Ihre Gedanken um Fragen wie diese kreisen zu lassen. Es lohnt sich. Denn wir brauchen den Maßstab, um zu wissen, wo die Abweichung ist. Und wir brauchen die Abweichung, um voranzukommen.

Gabriele Fischer
Chefredakteurin

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