brand eins 04/2014

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Titel: Ruhe!

Schwerpunkt: Konzentration

Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Gabriele Fischer in ihrem Editorial:

Das Missverständnis

• Als wir vor 14 Jahren in der Hamburger Brandstwiete 1 unsere kleine Unternehmung starteten, saßen alle Kollegen in einem nicht allzu großen Raum, in dem auch der große Tisch für Besprechungen, die Kaffeemaschine und der Kühlschrank standen. Schließlich wollten wir unser Magazin gemeinsam entwickeln, alle an allem teilhaben lassen, Gruppenerlebnisse schaffen – das war modern, ein Signal, dass man die Zeichen der Zeit verstanden hat.

Als wir nach anderthalb Jahren umziehen mussten, hatten die Kollegen nur einen Wunsch: Einzelbüros, egal wie klein. Dabei ist es bis heute geblieben, auch wenn um uns herum die einst avantgardistische Idee der Gemeinschaftsfläche zum Standard wurde (S. 74). Das Großraumbüro, das als Ansammlung trostloser Cubicles begann, hat seinen Siegeszug bis in manche Vorstandsetage fortgesetzt: Modern ist, wer kommuniziert, sich nicht abschottet, beim Team bleibt. Management heute ist „talking around“. Worüber? Das findet sich.

Nun ist nichts dagegen zu sagen, dass Chefs und ihre Mitarbeiter miteinander reden. Die Frage ist, ob sie daneben noch viel anderes tun. Die Konferitis scheint längst zu einer grassierenden Krankheit geworden zu sein (S. 100). Und wer nicht im Meeting sitzt, kommuniziert per E-Mail, Smartphone, geistert durch soziale Netzwerke oder ist unterwegs. Zum Nachdenken, sagt der Anwalt Yorck Jetter, komme er eigentlich nur, wenn alle Kollegen weg sind (S. 112).

War das die Idee, als wir in ein neues Zeitalter aufbrachen? Kreativität sollte die wichtigste Produktivkraft werden, Wissen der Rohstoff sein, der sich bei Gebrauch vermehrt. Wolf Lotter hat Zweifel: Zwar reden wir inzwischen über Probleme – aber wir lösen sie nicht (S. 64).
Tatsächlich kann Wissen erst zum Rohstoff werden, wenn es welches gibt. Und das kann, wie der Fall Hans Reichenbach zeigt, dauern. Der Mikrobiologe hat sich 30 Jahre lang in seine Myxobakterien verbissen, wurde belächelt, bedrängt – und ist heute der Star seines Forschungsinstituts (S. 156). Auch im Labor des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer kennt man den Unterschied zwischen Gespräch und Geduld: Der Austausch mit den Kollegen anderer Disziplinen ist wichtig – die Möglichkeit zum Rückzug auch (S. 144).

Aber können wir uns überhaupt noch konzentrieren? Wie oft schweifen die Gedanken ab, siegt die Ablenkung? Bei den drei Profis, die Oliver Link dazu befragt hat, erfreulich selten: Sie sind Fluglotse, Bombenentschärfer und Chirurg (S. 84). Weniger gefährlich, aber ähnlich selten sind Konzentrationsschwächen beim Tischtennis-Ass Timo Boll (S. 96).

Diese Meister der Fokussierung bestechen durch klare Struktur – und ein klein wenig Fantasielosigkeit. Das hilft bei der Konzentration, bestätigt eine autistische Ärztin (S. 140), ist aber kein Muss. Auch wer sich vielseitig interessiert, gern redet, auf vielen Hochzeiten tanzt, kann lernen, immer wieder ganz bei sich zu sein (S. 92, 114). Es ist auch keine Altersfrage, wie die Musiker eines Schulorchesters beweisen (S. 108). Es verlangt nur ein wenig Disziplin, sagt Armin Petras, der gleichzeitig Regisseur, Intendant, Dramatiker und Vater ist (S. 120).

Für den Anfang könnte schon helfen, wenn Rückzug zum Recht und Konzentration so wichtig wird wie Kommunikation. Machen Sie mit: Sagen Sie den nächsten Termin, das nächste Meeting ab, weil Sie nachdenken müssen.
Rechnen Sie dann allerdings erst einmal mit Gesprächsbedarf.

Gabriele Fischer 

Chefredakteurin

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