brand eins 03/2014

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Titel: Ich will alles von dir wissen.

Schwerpunkt: Beobachten

Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Gabriele Fischer in ihrem Editorial:

Es kommt auf die Motive an

• Das Internet hat eine Menge guter Entwicklungen mit sich gebracht. Zu den schlechteren gehört die Eskalation öffentlicher Aufregung. So war es nicht weit von Edward Snowdons Enthüllungen über Angela Merkels Handy bis zum Abgesang auf eine Innovation, die unser Leben verändert hat wie einst die Dampfmaschine. „Das Internet ist kaputt“, schrieb der Blogger Sascha Lobo. Viele der einstigen Netz-Pioniere forderten ein neues Netz.
So reizvoll der Gedanke sein mag, den ganzen Kram der NSA zu überlassen und nach nebenan in einen geschützten Hort zu ziehen: Wolf Lotter schlägt stattdessen eine Bestandsaufnahme vor. Tatsächlich ist nicht das Internet kaputt, sondern der Cyberspace – die Illusion, dass eine virtuelle, also künstliche Welt ohne Regeln und Vorschriften machbar sei. Das Internet ist ein Werkzeug, ein Medium wie Telefon, Buch oder Rede, das ge-, aber auch missbraucht werden kann. Und in dem ein paar Regeln nicht schaden (S. 32).
Doch die NSA-Enthüllungen haben nicht nur die Netzgemeinde desillusioniert, sie haben auch eine Urangst wiederaufleben lassen: dass „1984“ ein Tatsachenroman ist und wir alle nur Fliegen sind unter einem gewaltigen Mikroskop (S. 52). Wir werden beobachtet! Gesteuert! Big Data ist Big Brother und das Ende der freien Welt nah! Auch hier lohnt sich der nüchterne Blick: Beobachten ist keine Erfindung übler Spione, sondern eine Kulturtechnik, ohne die es keinen Fortschritt gäbe und keine Wissenschaft. Der freie Wille endet erst dann, wenn wir ihn nicht mehr nutzen (S. 38). Und wenn Daten missbraucht werden, heißt das noch lange nicht, dass sie keiner braucht.
Das wird besonders deutlich, wenn es um die Gesundheit geht. Die Angst vor Missbrauch ist hier groß, die Chancen auch, wie die Dänen zeigen (S. 46). Auch die durch ein Wikileaks- Video zu trauriger Prominenz gelangte Drohne kann nicht nur spionieren oder töten: Ein visionärer Gründer will mit ihrer Hilfe eine Menge Gutes tun (S. 112). Die Wissenschaft kann gar nicht anders als beobachten, Daten sammeln und daraus Schlüsse ziehen (S. 94). Und selbst beim Thema Überwachung gibt es mehr als eine Perspektive: Kaum ein Land ist so mit Kameras bestückt wie Großbritannien – es gibt gute Argumente dafür und dagegen (S. 106).
Auf die Motive kommt es an – und zwar auf die, die wir glauben können. Dass die NSA nur Terroristen jagt und Marktforscher wie die von Norstat nur Kunden glücklich machen wollen, ist erst einmal eine Behauptung (S. 100). Wer seine Zweifel hat, muss im virtuellen wie im richtigen Leben etwas tun. Möglichkeiten, sich zu schützen, gibt es durchaus, und es werden – der NSA sei Dank – täglich mehr. Bequemer allerdings ist es noch immer, zu hoffen, dass es einen selbst nicht trifft: Auch da sind sich echte und Netz-Welt nah (S. 68, 78).
Die kleine Gruppe der Self-Tracker jedenfalls lässt sich den Spaß nicht nehmen: Mit atemberaubender Akribie sammeln und tauschen sie alles, was an Körper und Geist zu messen ist (S. 62). Die Angst vor Missbrauch ist kleiner als der Wunsch nach Selbstoptimierung: „Meine Daten gehören mir“, sagt Maximilian Gotzler, „und ich kann sie teilen, mit wem ich will.“
Das wäre schön. Und das ist gar nicht so unrealistisch, wenn auch im Internet Regeln gälten wie im Straßenverkehr. Ein frommer Wunsch? Das war die Gurtpflicht irgendwann auch.

Gabriele Fischer
Chefredakteurin

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